Nein, er schläft nicht mit seiner Kopfbedeckung. Nachts setzt er den Hut ab, zieht auch die Mütze vom Kopf. Nein, dieses „Markenzeichen“ von Gregory Porter hat keine weitere Bedeutung als einfach nur eine Kopfbedeckung zu sein. Dennoch wird sie, weil unübersehbar, gerne als Aufhänger genutzt – so auch in diesem Beitrag. Dabei sollte Gregory Porters Markenzeichen eigentlich seine Stimme sein.

Seit Marvin Gaye, Bill Withers und Lou Rawls zusammen hat man eine solche Soul-Stimme nicht mehr gehört. Aber auch das stimmt nur zur Hälfte, denn Gregory Porter ist eigentlich kein Soul-, sondern ein Jazz-Sänger, gesegnet mit einer unglaublichen Soul-Stimme. Porter ist gegenwärtig der wohl beste Jazz-Sänger der Welt. Und weil er eine so begnadete Soul-Stimme hat, öffnet er den Jazz auch für Menschen, die sonst eher wenig damit anfangen können.

Wem diese ohnehin künstlichen Genre-Grenzen schnurz sind, der findet sehr schnell einen Zugang zu dem Sänger, dessen Bariton einem schlicht die Sprache verschlägt und die Seele zum Klingen bringt. Das Fachmagazin „Jazzthing“ schwärmte von der „schönsten Stimme des Jazz“.

Warum Gregory Porter erst mit 40 Jahren der Durchbruch gelang, nachdem er fast sein halbes Leben als Sänger unterwegs war, bleibt ein Rätsel. Dafür gilt er seit seinem Debütalbum „Water“ (2009), das ebenso für den Grammy nominiert wurde wie der Nachfolger „Be good“ (2011), als Shooting Star der Jazz-Szene.

10 von 12 Songs auf „Be good“ stammen aus seiner eigenen Feder, viele von ihnen klingen jetzt schon wie ewige Jazz-Klassiker. Gleichzeitig kann es „Be good“ mit dem wohl besten Soul-Album aller Zeiten, Marvin Gaye’s „What’s going on“, aufnehmen.

Dass Gregory Porter nur deshalb Sänger wurde, weil er aufgrund einer Schulterverletzung seine Football-Karriere beenden musste, wird gerne verbreitet. Ob es tastsächlich dazu gekommen wäre, ist eine andere Frage. Der Mann, der aussieht wie ein Preisboxer, wirkt als Sänger so sensibel als könne er keiner Fliege etwas zu leide tun.

Das Titelstück „Be good“ mit dem Untertitel „Lion’s Song“ klingt deshalb auch wie eine Parabel auf die äußere Erscheinung Porters. Der Song verarbeitet (was sonst) eine unglückliche Liebe:

she said lions are made for cages
just to look at in delight
you dare not let’em walk around
‚cause they might just bite

(…)

does she know what she does
when she dances around my cage and says her name
be good be good
be good is her name.

 

Seit diesem wunderbaren Song, der zwischen langsamem Walzer und freier Improvisation pendelt, ist „Lion“ Porters zweiter Vorname geworden.

Er wuchs vaterlos auf, zuerst in Los Angeles, später im nördlicheren Bakersfield, das einst die inneramerikanische Country-Konkurrenz zu Nashville war. Schon der kleine Gregory sang Gospels in der Baptisten-Kirche, in der seine Mutter predigte. „I was a mama’s boy and it pleased my mother.“

Seine Mutter liebte Nat King Cole und ihr Sohn stellte sich vor, dass Nat sein Vater wäre. Als Jugendlicher sah Gregory mit Begeisterung den „Soul Train“, die legendäre Samstag-Nachmittag-Musiksendung des Moderators Don Cornelius auf WGN-TV, in der sämtliche Größen afroamerikanischer Musik auftraten.

„Sing, Baby, sing“, sagte ihm seine Mutter auf dem Sterbebett (Gregory war gerade 21) und er betrachtete es als ihr Vermächtnis.

Der Komponist, Musiker und Dozent Kamau Kenyatta, der fast 20 Jahre später auch Porters erstes Album „Water“ produzierte, brachte ihn zum Jazz. Porter hatte ein Stipendium an San Diego University und kam durch Kenyatta auch in Kontakt mit einigen Jazz-Größen, die ihn inspirierten. Der Sänger war so naiv zu glauben, dass er selbst auch schon irgendwann entdeckt werden würde. Aber daraus wurde vorerst nichts.

Porter wechselte ans Theater, ging nach New York und gehörte 1999 sogar zum Broadway-Ensemble des Musicals „It Ain’t Nothin‘ But the Blues“, das es immerhin auf 284 Aufführungen und eine Nominierung zum begehrten Musical-Award „Tony“ brachte.

„Man, your father was a great singer“

2004 schrieb Porter sein eigenes Musical: „Nat King Cole and me“ – über den „Vater, Held und Freund, den ich mir immer gewünscht habe“. Es errang einen Achtungserfolg in Denver, aber künstlerisch und musikalisch war Porter auch ein Gefangener in dieser imaginären Vater-Sohn-Beziehung. Die Stimme seines leiblichen Vaters, der die Familie sitzen ließ und als Anstreicher umherzog, kannte Gregory nur von alten Tonbandaufnahmen. „Man, your father was a great singer“, war ein schwacher Trost bei dessen Beerdigung.

Erst als Porter sich entschloss, ganz nach New York zu gehen und dort im legendären Jazz-Club „St. Nick’s Pub“ in Sugar Hill, Harlem auftrat, nahm seine Karriere ihren Lauf. Viele Stücke seines ersten Albums „Water“ entwickelten sich hier. Allen voran „1960 – What“, ein mitreißender Song über die großen Rassenunruhen in der Autostadt Detroit im Jahr 1967.

Porter erhielt einen Vertrag bei dem Harlem-Jazz-Label „Motéma“, bei dem auch sein zweites Album „Be good“ erschien. Nach seiner leiblichen Mutter wurde nun Jana Herzen, die Gründerin von „Motéma“, die Mutter seines Erfolgs. (Motéma ist Lingála, kongolesische Nationalsprache, und bedeutet „Herz“.) Produziert wurde „Be Good“ wie auch das Album „Liquid Spirit“ von Brian Bacchus, der schon Norah Jones zum Erfolg verhalf; Gregory Porters’ musikalischer Ziehvater Kamau Kenyatta ist weiter als Co-Produzent und Arrangeur dabei.

„Liquid Spirit“ klingt noch professioneller als die ersten beiden Alben, erreicht aber nicht die besondere Stimmung des Jahrhundertalbums „Be good“. Einige der neuen Stück wie „Hey Laura“ oder „Wind Song“ haben sogar Hit-Potenzial. Heute wohnt der Jazz-Sänger mit der Soul-Stimme im Künstlerviertel Bedford–Stuyvesant (kurz „Bed-Stuy“) in Brooklyn, das früher einmal das „Little Harlem“ von New York genannt wurde, und in dem Musiker wie Jay-Z oder Norah Jones groß geworden sind. In seinem mitreißenden Up-Tempo-Stück „On my way to Harlem“, das ihm in der A-Line auf seinem Weg von Brooklyn nach Harlem eingefallen ist, singt Porter vom Nachhall der großartigen Musiker, die New Yorks schwarzer Stadtteil hervorgebracht hat. Seine eigenen Chancen, selbst eines Tages zur Jazz-Hall of Fame zu gehören, stehen allerdings auch nicht schlecht.

Gregory Porters Markenzeichen, seine Kopfbedeckung, wird aber ganz sicher wieder mit von der Partie sein.