Gondwana war einmal der südliche Teil des Urkontinents Pangaea (Laurasia war der nördliche). Gondwana umfasste in etwa die heutigen Erdteile der Südhalbkugel, von Südamerika über Afrika, Arabien und Indien bis Südostasien, Australien und Neuseeland. Und natürlich die heutige Antarktis.

Das Ganze ist ca. 150 Mio Jahre her. Nicht ganz so alt ist das Jazz-Label Gondwana aus Manchester. Kopf des Unternehmens ist der Jazz-Trompeter Mathew Halsall. Dem Musikmagazin SPEX erzählte er, wie es dazu kam:

Den Namen habe ich vom Möbelladen meiner Mutter übernommen, in dem ich ab und zu aushalf. Ihre Idee war es, Stücke aus aller Welt an einem Ort zusammenzuführen. Wie der Superkontinent Gondwana eben, in dem zwei Platten kollidierten. Der Gedanke gefiel mir sehr!

Klingt etwas esoterisch, ähnlich wie die Musik einiger Jazz-Bands, die sich unter dem Label Gondwana zusammengefunden haben: GoGo Penguin, Portico Quartett, Mammal Hands und natürlich Mathew Halsall selbst mit seinem Gondwana Orchestra (um nur die bekanntesten zu nennen).

Sie alle klingen durchaus meditativ und spirituell, auf jeden Fall aber minimalistisch und sehr melodisch. Tatsächlich haben sie den Jazz mit Elementen aus allen möglichen modernen Stilrichtungen (Electronica, Ambient, Trip-Hop …) angereichert, so dass man sie im klassischen Sinne nicht einmal mehr Jazz-Bands nennen kann. Oder eben erst recht.

Kristallisationspunkt der späteren Gondwana-Bands war Matt and Phreds, ein Jazz-Club in der Tib-Street im Nothern Quarter, dem Szeneviertel von Manchester.

Manchester und Musik – auch das ist eine lange Geschichte mit vielen populären Bands von den Hollies in den 60er Jahren über 10cc in den 70ern, den Smiths in den 80er und Oasis in den 90er Jahren. Aber Jazz?

GoGo Penguin

Die heute wohl erfolgreichste Band des Gondwana-Labels – das Trio GoGoPenguin – versagt sich denn auch den traditionellen Vergleichen. Dazu schrieb Josef Engels in der WELT:

In der Tat sind die Stücke von GoGoPenguin vom klassischen Pianotrio-Jazz eines Bill Evans ungefähr so weit entfernt wie ein Kurbeltelefon zum iPhone.

Inspiriert sehen sich Pianist Chris Illingworth, Kontrabassist Nick Blacka und Schlagzeuger Rob Turner denn auch weniger von Jazz-Größen wie Miles Davis, Herbie Hancock oder John Coltrane, sondern eher von der Minimal-Music eines Steve Reich, John Cage oder John Adams. Aber auch hier scheitert letztlich jeder Versuch, GoGoPenguin in eine Schublade zu stecken. GoGoPenguin klingen eben wie GoGoPenguin.

Gondwana Orchestra feat. Josephine Oniyama

Das kann man auch von Josephine Oniyama behaupten, die gelegentlich als Sängerin und Teterin das Gondwana Orchestra begleitet und einem der, wenn nicht dem schönsten Song der Band ihre unnachahmliche Stimme gegeben hat: „Into Forever“ ist der Titel des gleichnamigen Albums des Gondwana Orchestras von Mathew Halsall, der das Stück komponiert hat und selbst eine wunderbare Trompetenbegleitung beisteuert.

„Into Forever“ gehört neben den beiden GoGo-Penguin-Alben „v2.0“ und „Man Made Object“ zu den besten Veröffentlichungen des Gondwana-Labels. (Das dritte Album von GoGo-Penguin ist 2018 beim Major-Jazz-Label Blue Note erschienen – nach dem Gewinn des britischen Mercury Price der endgültige Ritterschlag für jede Jazz-Band.)

Portico Quartett

Schon etwas länger im Geschäft, ebenso häufig ausgezeichnet (Mercury Prize für das Debütalbum „Knee-Deep in the North-Sea“), aber letztlich noch ohne den ganz großen Durchbruch ist die Gondwana-Band Portico Quartett.

Zwischenzeitlich auf ein Trio und den Namen Portico geschrumpft, machten sie vor allem durch ein Album mit Gastsänger Joe Newman (alt j) auf sich aufmerksam, sind aber mittlerweile wieder als Quartett unterwegs: Keir Vine (Hang), Jack Wylli (Saxophon, Klavier), Duncan Bellamy (Schlagzeug, Klavier), Milo Fitzpatrick (Kontrabass). Die vier Jazz-Musiker waren die ersten, die diesen minimalistischen und melodischen Manchester-Style kreierten und gleichzeitig die Hang – damals noch in der Besetzung mit Nick Mulvey – als Jazz-Instrument salonfähig machten.

Mammal Hands

Wer das Festival in Montreux oder das alljährliche Haldern Pop zu schätzen weiß, kennt wahrscheinlich auch Mammal Hands, die dritte Band im Bunde der Manchester-Jazz-Ikonen. Anders als bei den eindeutig Klavier- und Rhythmus-dominierten GoGoPenguin, aber ähnlich dem multiinstrumentellen Portico Quartet ist bei Mammal Hands das Saxophon von Jordan Smart das tonangebende Solo-Instrument, das zu Beginn eines Stücks perfekt mit der Grundmelodie harmoniert, die Bruder Nick Smart auf dem Klavier intoniert, um sich dann im weiteren Verlauf davon zu lösen und frei zu improvisieren. Einziges Rhythmus-Instrument ist das Schlagzeug von Drummer Jesse Barnett. (Der Bass fehlt bei Mammal Hands.)

Alle drei Bands – und rechnet man das Gondwana Orchestra von Mathew Halsall dazu: sogar alle vier – interpretieren modernen Jazz unterschiedlich, aber dennoch vergleichbar. So gesehen gibt es durchaus einen Gondwana-Sound, der diese Bands zu einem Klangkontinent aus verschiedenen „Platten“ verbindet. Und Manchester zur Hauptstadt dieses musikalischen Erdteils macht.